- Wage [1]
Wage, Gerät zur Gewichtsbestimmung, die auf einer Vergleichung von Gewichten beruht (s. Gewicht, Gewichte, Gewichtsstücke). Man benutzt hierzu Hebelanordnungen (Hebelwagen) oder Federn (Federwagen). Außerdem werden Wagen zum Messen von Kräften für physikalische Zwecke benutzt (s. unten). Senkwagen zur Ermittlung des spezifischen Gewichts von Flüssigkeiten, s. Aräometer, Alkoholometer, Galaktoskop, Hydrostatische Wage, Molkerei.
[818] I. Hebelwagen.
A. Wagen mit horizontaler Gleichgewichtslage. Die Konstruktionen dieser Wagens unterscheiden sich zunächst in folgendem voneinander: a) auf der Gewichtsseite der Wage werden entweder lose Gewichtsstücke aufgelegt, oder es wird ein unveränderliches Gewicht auf einem Hebel verschoben (Laufgewicht); auch Kombinationen beider Anordnungen kommen vor; b) die Last wirkt entweder unmittelbar auf einen Hebel oder ruht in einer Schale oder auf einer Brücke; c) die zur Vergleichung dienenden Gewichte sind entweder ebenso groß wie die Last (Gleichlastwagen) oder betragen nur einen Teil der Last, so daß Hebelübersetzungen notwendig werden (Dezimalwagen: Gewicht = 1/10 der Last, Zentesimalwagen: Gewicht = 1/100 der Last); d) das Wägen (Bedienung der Wage) muß entweder durch eine menschliche Arbeitskraft geschehen, oder es geschieht vollkommen selbsttätig (automatische Wagen).
Fig. 1. Gleicharmige einfache Balkenwage. Die Drehpunkte a und c liegen bei der Gleichgewichtslage in einer wagerechten Linie, die stets über dem Schwerpunkte der Wage liegt. Der Stützpunkt d ist bei groben Wagen über und bei seinen Wagen nahezu oder ganz in der Geraden a c. Ist das Gesamtgewicht der Wage = W, und ist in der linken Wagschale g das Gewicht P, dagegen in der rechten P + p, so verursacht das Uebergewicht p eine Ablenkung, deren Größe α sich durch tg α = p l : [(2P + p) m + W(m + n)] bestimmt. Dieser Wert wird unter gleichen Verhältnissen am größten für m = 0, also tg α = p l : W n. Dann ist die Empfindlichkeit der Wage nicht nur am größten, sondern auch von der Größe der Gewichte P unabhängig. Die Formel zeigt, daß zur Erreichung einer großen Empfindlichkeit, d.h. Ablenkung, der Wage l groß und n klein gewählt werden muß; vgl. [1]. Zur Verminderung der die Genauigkeit der Wage beeinträchtigenden Reibung an den Drehpunkten a c d werden dreieckige Messerschneiden und Pfannen benutzt. Gewöhnlich werden die Messerschneiden am Balken angebracht, weil dadurch die Unabänderlichkeit ihrer Abstände voneinander gesichert ist. Die Wagschalen g sind unter dem Balken a b c d durch Ketten, Schnüre oder gekröpfte Stangen an den Drehpunkten a und c aufgehängt. Da die Wagschalen an den Drehpunkten hin und her pendeln, so gewähren sie keine bequeme Unterlagen für das Auflegen der Gewichte. Aus diesem Grunde wendet man häufig eine Arretierung an, indem die Schalen g entweder von aufwärts bewegten Scheiben aufgefangen oder durch Senken des Balkens a b c d auf die Unterlagen gelegt werden. Die Arretierung kann zur Beschleunigung des Wagens benutzt werden, indem erst nach ihrer Entfernung der Wagebalken freigegeben wird und dieser sich stets auf die Seite des etwaigen Uebergewichtes neigt. Die Arretierung kann dazu dienen, die Messerschneiden und Pfannen vom Druck zu befreien, wenn Gewichte aufgelegt werden oder die Wage nicht benutzt wird. Die eine Hälfte der Wage soll mit der andern genau übereinstimmen. Ist dies nicht der Fall, so ist zur Ermittlung des genauen Gewichtes die doppelte Wägung erforderlich, d.h. man legt den Körper in die eine Wagschale g und so viel Gewichte in die andre Schale g, als zur Einstellung des Zeigers h in die richtige Lage f (α = 0) erforderlich ist; dann nimmt man den Körper heraus, ersetzt ihn durch so viel Gewichtsstücke, als zur Wiedereinstellung des Zeigers h nötig ist, und findet nun in diesen Gewichtsstücken das gesuchte Gewicht.
Die gemeine Wage wird sehr verschieden ausgeführt [1], [2]: Stützpunkt d in einer Gabel f und Zeiger (Zunge) h oben (Fig. 1), die Gabel f kann an einem Ringe mit der Hand gehalten werden (Handwage) oder mit dem Ringe an einem festen Punkte (Decke, Balken, Gestell u.s.w.) oder auf einer senkrecht verschiebbaren Stütze als Arretierung aufgehängt sein, β) Stützpunkt d auf einem Ständer, Bock u.s.w. gelagert, und Zeiger h unten. Es kann eine senkrecht verschiebbare Stütze als Arretierung benutzt werden, deren beide Arme unter den Wagebalken greifen. γ) Aufhängepunkt d auf einer senkrecht verschiebbaren Stütze als Arretierung.
Wagen nach Fig. 1 in seiner Ausführung werden als Präzisionswagen bezeichnet. Zu diesen gehören die analytischen Wagen für physikalische und chemische Untersuchungen. Die Balken derselben haben, auf die ganze Länge verteilt, Kerben, in welche leichte, abhebbare Gewichte aus Draht, Reiter, gelegt werden. Gewöhnlich sind solche Wagen in Glasgehäusen eingeschlossen, um Luftzug und Temperaturschwankungen fernzuhalten [1], [2]. Die Abweichungen des Zeigers vom Nullpunkte einer Skala können durch Spiegel vergrößert oder mit einem Mikroskop beobachtet und die verschiedenen Gewichte durch eine Vorrichtung mechanisch aufgelegt und abgehoben werden [1], [2].
Automatische Wagen mit Anordnung der Wage nach Fig. 1 sind z.B. die Münzwagen (s. Münze, Bd. 6, S. 529, Fig. 4 u. 5; s.a. Getreidewage, Bd. 4, S. 458). Fig. 2. Robervalsche Wage (gleicharmige Gleichlastwage mit Parallelführungen für die Schalen S). Sie hat den Nachteil, daß in den Lenkern w x und y z abwechselnd Zug- und Druckkräfte auftreten, je nachdem die durch Pfeile angedeuteten Gewichte auf der einen oder andern Seite der Stützen t w bezw. v z wirken.
Fig. 3. Pfanzedersche Wage (gleicharmige Gleichlastwage). Jede Wagschale q ist mit den Stützen p und s starr verbunden. Die Lenker t t sind notwendig, weil die oberen Drehpunkte [819] a und c Bogen mit großem Halbmesser a b bezw. b c, hingegen die unteren Drehpunkte f und i Bogen mit noch nicht halb so großem Halbmesser e f bezw. k i beschreiben. Zwischen den Punkten a und d bezw. c und l sind Stangen eingeschaltet. Die Wage hat den Nachteil, daß die Stangen a d und c l auf Druck beansprucht werden und bei Anwendung von Messerschneiden in den Drehpunkten aus der richtigen Lage geraten können. Ueber die Kepplersche Ausführung dieser Wage s. [1].
Bei der Bérangerschen oder Hauserschen Wage, Fig. 4 [1], treten außer Biegungsspannungen nur Zugspannungen auf, die Messerschneiden geraten also beim Auf- und Abnehmen der Gewichte nicht leicht aus den Pfannen heraus. Durch Rechnung ist leicht zu finden, daß es hier wie bei der vorherigen Wage gleichgültig ist, auf welchen Stellen der Wagschalen die Gewichte aufgelegt werden. Es sei noch bemerkt, daß die Wage am raschesten ihre Gleichgewichtslage annimmt, wenn die Stangen i k, e h und g f in vom Punkte o ausgehenden Strahlen liegen.
Fig. 5. Ungleicharmige einfache Laufgewichtswage (römische Schnellwage). Die Wagschale kann entweder bei q öder bei r aufgehängt werden, so daß zwei verschiedene Teilungen auf beiden Seiten des langen Balkenarmes erforderlich sind. Das Laufgewicht ist mit p bezeichnet.
Fig. 6 und 7. Dezimal-, Quintenzsche oder Straßburger Brückenwage. Bei jeder gut gebauten Brückenwage muß die Wagschale, Tafel oder Brücke H H (Fig. 6) so geführt sein, daß irgend eine mit ihr fest verbunden gedachte Horizontalebene A A ihrer Anfangslage nahezu parallel bleibt, wenn die Wage um ihre Gleichgewichtslage kleine Schwingungen macht; ferner muß das Wägeresultat von der zufälligen Lage des Körpers auf der Brücke unabhängig sein. Die Brücke A A ist mit dem Rahmen H H fest verbunden, der durch die Schneiden a a und die Zugstangen E und F seine Wirkung auf den Wagebalken B B überträgt, welcher um den festen Drehpunkt K. schwingt und durch Vermittlung der Schneide i die Wagschale G trägt. Zur Ausgleichung etwaiger Störungen des Gleichgewichts im Hebelmechanismus der Wage selbst dient die kleine, unmittelbar unter i angebrachte Schale. Nach Fig. 7 nimmt die Lage der Last Q keinen Einfluß auf die Wägung, wenn a : c = f : d. Es besteht nämlich (ohne Rücksicht auf die Eigengewichte der Wagenbalken u.s.w.) die Gleichgewichtsbedingung: P b = q1 a + p1 c, welcher mit Rücksicht auf die Beziehungen (s. Fig. 7):
Q : q2 = e : x; p1 : q1 = f : d = a : c; q1 : Q = (e x) : e
die Gleichung entspricht: P b = Q a. Es tritt also x aus der Gleichung, d.h. die Lage der Last ist gleichgültig. Wählt man b = 10a, so wird P = 0,1 · Q, d.h. das Gewicht P ist gleich dem zehnten Teil der Last Q, woher der Name Dezimalwage. In der Regel nimmt man dann das Verhältnis a : c = f : d = 1 : 6. Wird P = 0,01 · Q bestimmt, so heißt die Wage Zentesimalwage u.s.w.
Fig. 8. Brückenwage mit querliegender Anordnung der Gewichtsseite. Sie hat sechs durch schraffierte Dreiecke angedeutete feste Stützpunkte. Der mit dem Balken s t u durch Stange s r verbundene Hebel w r trägt an. seinen Armen k und q durch Stangen k i und q p die zwei gleichen, um die Achsen e f und l m schwingenden Hebel e f i und l m p. Die durch das punktierte Parallelogramm a b c d angedeutete Lastbrücke ruht mittels vier Stützen auf den zwei Hebeln e f i und l m p. Für die Genauigkeit ist es wesentlich, daß bei der Gleichgewichtslage die Kanten sämtlicher Schneiden an den Hebeln e f i und l m p in einer wagerechten Ebene liegen. Die Brückenwage wird sehr verschieden ausgeführt und führt besondere, den Zweck andeutende Namen. Sie kann als Tischwage dienen, wenn der Balken s t u (Fig. 8) unter die Ebene der Lastschale a b c d verlegt und gleichlaufend zur einen Kante derselben angeordnet ist. Ueber andre ungleicharmige zusammengesetzte Balkenwagen s. [1].
[820] Fig. 9 zeigt die Chameroysche Einrichtung einer Vorrichtung zum Aufdrucken des festgestellten Gewichts auf Zettel oder Karten. Der Balken n hat auf der oberen Seite Kerben q q, auf der vorderen Seite oben eine Teilung und auf der unteren Seite erhabene Zahlen. Der Läufer o läßt sich auf dem Balken beliebig verschieben und durch die Klinke p, welche in eine Kerbe q eingreift, sichern. Er trägt einen leistenförmigen, verschiebbaren kleineren Läufer r, welcher vorn eine Teilung für die Gewichtsunterabteilungen und auf der unteren Seite ebenfalls erhabene Zahlen hat. Beim Wiegen wird zuerst der Läufer o in die Lage gebracht, bei der ungefähr eine Gleichgewichtslage eintritt, darauf der kleinere Läufer r so verschoben, daß die beiden Zeiger up gleich hoch stehen. Man kann nun nicht bloß das Gewicht von den beiden Teilungen ablesen, sondern auch einen Zettel in den Schlitz s des Läufers o einschieben und darauf durch den Handhebel t die jeweiligen Zahlen abdrucken.
Die Firma Carl Schenk in Darmstadt führt einen Wiegebalken mit Druckapparat aus, der in einem vollständig geschlossenen Blechkasten eingebaut ist, so daß sein Spiel nicht beeinflußt werden kann. Die Stellung des Laufgewichts und das Spiel des Wiegebalkens kann durch eine Glasscheibe beobachtet werden. Das Verschieben der Laufgewichte erfolgt mittels Griffrädchens außerhalb des Blechkastens. Die Einteilung ist derart, daß nur dann das Gewicht auf eine Wiegekarte abgedruckt werden kann, wenn die Laufgewichte auf die Gleichgewichtslage eingestellt sind, so daß der Wiegemeister nicht vereidigt zu werden braucht.
Als besondere Ausführungen der Brückenwagen seien noch genannt:
1. Die Eisenbahnwaggon- oder Gleiswagen, die nach zwei Systemen gebaut werden und zwar als Wagen mit Gleisunterbrechung, wobei die Schienen vor und hinter der Wage unterbrochen sind (für Nebengleise und Fabrikanschlußgleise, die nicht mit Lokomotiven und ganzen Zügen befahren werden) und als Wagen ohne Gleisunterbrechung, wobei die Brücke zwischen den Schienen liegt (für Gleise, auf denen ein öfteres Befahren von ganzen Zügen und Rangierlokomotiven stattfindet). Bei den letzteren Wagen ist eine Brücke innerhalb des Gleises eingebaut, welche hochgewunden wird und unter die Spurkränze der Radreifen greift; vgl. a. [1] und [2].
2. Die Kranwagen, welche an die Lasthaken von Hebezeugen (Kranen u.s.w.) angehängt werden. In ihrem Gehäuse sind gewöhnlich zwei, drei oder vier ungleicharmige Balken, untereinander durch Zugstangen verbunden. Fig. 10 und 11 veranschaulichen eine Kranwage von Gebrüder Dopp in Berlin. Die Wage wird mit der Oese a an dem Kranhaken und die Last am Haken e aufgehängt. Dabei ist der exzentrische Zapfen c in der gezeichneten Stellung, so daß durch ihn die den Haken e tragenden beiden Schienen d von der Messerschneide k2 des ersten Balkens k abgehoben sind, folglich die Wage abgestellt ist. Zum Wiegen wird durch Handrad f, Schnecke und Schneckenrad g der exzentrische Zapfen c nach unten herumgedreht, so daß er die Schienen d freigibt und diese am Balken k hängen. Der letztere ist mit seiner Messerschneide k1 durch das Glied i bei h aufgehängt und durch Glied l mit dem zweiten bei m1 gelagerten Balken m, dieser durch Glied n mit dem dritten bei o1 gelagerten Balken o, endlich der letztere durch Glied s mit dem vierten bei pl gelagerten Balken p verbunden. Auf dem langen Arme des Balkens p sitzt das große Laufgewicht, welches bei den gezeichneten Hebelverhältnissen nur 1/3000 vom größten Lastgewichte beträgt. Zur Bestimmung der Gewichtsunterabteilungen dient ein kleineres Laufgewicht[821] auf der Stange q (der Deutlichkeit wegen sind beide Laufgewichte weggelassen).
3. Gattierungswagen zum Abwiegen verschiedener Materialien für sich oder in einem gemeinsamen Behälter (Transportwagen), Fig. 12 (C. Schenk, Darmstadt), besonders in Gießereien und Eisenwerken zum Abwiegen der Beschickungsmaterialien bestimmt. Jeder Wagebalken kann mittels eines Handgriffs für sich in Funktion gesetzt werden.
B. Neigungswagen (Fig. 13 und 14). Sie besitzen einen Winkelhebel, dessen einer Schenkel das Vergleichungsgewicht trägt und auf dessen andern Schenkel die Last unmittelbar (wie z.B. bei Briefwagen) oder ein mit der Lastauflagerung (Brücke, Tisch) in Verbindung stehendes Glied wirkt. Je größer die Last, desto größer wird die Verdrehung des Winkelhebels, die mittels eines Zeigers an einer Skala die Größe des Gewichts anzeigt. S.a. Garnprüfung.
II. Federwagen.
Die elastische Verlängerung oder Verkürzung einer Schraubenfeder oder die Durchbiegung einer geraden oder rundgebogenen Feder kann zur Gewichtsvergleichung benutzt werden, indem man durch Belastung mit Gewichten die elastische Veränderung der Feder feststellt, die mittels Zeigerwerks sichtbar gemacht wird (Fig. 15 und 16). Da die Elastizität der Federn im Laufe der Zeit sich ändert, so verlieren die Federwagen allmählich ihre Genauigkeit.
Literatur: [1] Brauer, E., Die Konstruktion der Wage, 3. Aufl., bearbeitet von Lawaczek, Weimar 1906. [2] Kataloge von C. Schenk in Darmstadt, Mohr & Federhaff in Mannheim, H. de Fries in Düsseldorf, Gebrüder Dopp in Berlin u.a.
A. Widmaier.
III. Wagen zum Messen von Kräften.
Zu diesen gehört die Drehwage, Torsionswage, von Michell 1793 erfunden. Ueber eine wichtige Verwendung vgl. Dichte der Erde (Bd. 3, S. 488). Coulomb bediente sich der Drehwage zum Nachweis des nach ihm benannten Gesetzes der Fernwirkung statisch elektrischer Ladungen und zum Messen der Größe solcher Ladungen. Gemeinsam ist allen je nach dem Zweck der Verwendung verschiedenen Einrichtungen der Drehwage ein vertikaler elastischer Draht oder Faden, an welchem ein Körper aufgehängt ist, der in einer bestimmten Richtung bei untordiertem Draht seine Gleichgewichtslage hat, solange keine Kraft auf Aenderung des Azimuts der Richtung hinwirkt; gemeinsam ist auch eine Vorrichtung, um den Winkel der Ablenkung des aufgehängten Körpers aus der Gleichgewichtslage zu messen, am besten, wo es sich um genaue Winkelbestimmung handelt, ein die Beobachtung aus einiger Ferne durch Spiegelablesung gestattender Spiegel, der um die Richtung des Drahts als Achse drehbar ist. Bei der Coulombschen Drehwage besteht der angehängte Körper aus einem leichten, die Elektrizität nicht leitenden, horizontal schwebenden Stabe, der am einen Ende eine kleine vergoldete Hohlkugel aus Messing trägt, am andern Ende ein Gegengewicht. Der Hohlkugel kann durch Kontakt mit einer gleich großen Standkugel mittels eines aus dem das Ganze umschließenden Glasgefäß hervorragenden Metallstabes eine Ladung erteilt werden. Der Draht hängt an einer drehbaren Scheibe, deren Drehungen an einer Gradteilung abgelesen werden können, so daß es möglich ist, das Azimut der Gleichgewichtslage des Wagebalkens, das der Torsion Null entspricht, um beliebige Winkel zu ändern. Drehwagen besonderer Vorrichtung sind ferner die verschiedenen Galvanometer und das Quadrantenelektrometer (s. Bd. 6, S. 373 und 380). Ist K das Trägheitsmoment des am Drahte hängenden Körpers, und wirkt der Ablenkung um einen Winkel α ein aus der Drillung, der Torsion, des elastischen Drahtes entspringendes Drehmoment α D entgegen, so bildet die Drehwage eine Art Pendel, dessen Schwingungszeit sich aus D = π2 K : t2 ergibt (D Drehmoment für die Ablenkung um den Winkel α = 1, gemessen in Teilen des Halbmessers). Wenn die Massen und die Längen in Einheiten des absoluten Maßsystems gemessen wurden und die Kraft X senkrecht zum zugehörigen Hebelarme l wirkt, so ergibt sich für einen Bogengrad Ablenkung die Kraft in Dynen D = π3 K : 180l t2. Um daher aus der Ablenkung der Drehwage auf die ablenkende Kraft oder auf deren Drehmoment schließen zu können, stellt man mit der Drehwage vorausgehende oder nachfolgende Schwingungsversuche an und ermittelt aus einer längeren Reihe von Schwingungen die Schwingungszeit t. Auch das Trägheitsmoment K kann durch Schwingungsversuche gefunden werden, indem man zu dem angehängten Körper eine Masse von bekanntem Trägheitsmoment K1 hinzufügt und die neue Schwingungszeit ermittelt. Aus den zwei Gleichungen
Die Drehwage wird um so empfindlicher, D um so kleiner, je kleiner der Durchmesser und je größer die Länge des Fadens gemacht wird. Die erwähnte experimentelle Bestimmungsart von K ist nicht ganz einwandfrei, weil der Faden bei andrer Spannung auch einen veränderten Wert von D erhalten wird. Auch Temperaturänderungen werden den Wert von D beeinflussen; solche sind daher sorgfältig zu vermeiden. Besonders werden die Ergebnisse der Drehwageversuche unsicher durch die elastische Nachwirkung im Aufhängedraht, weil diese die Nullage verändert und die in der Theorie angenommene Proportionalität zwischen Ablenkung und ablenkender Kraft unsicher macht.
Als vorzüglichstes Material für Fäden hat Boys [3] Quarzfäden in Anwendung gebracht; sie zeichnen sich durch eine bei geringer Dicke noch sehr große Fertigkeit und eine fast ideale Elastizität aus. Durch rasches Ausziehen der geschmolzenen Quarzmasse ist es möglich, Fäden[822] von weniger als 0,00001 Zoll Dicke herzustellen, die auf große Länge gleichmäßige Beschaffenheit zeigen. Es sei erwähnt, daß Boys [4] mittels seiner Drehwage die Gravitationskonstante gleich 6,6576 · 10-8 bestimmt hat. Vgl. a. Erde, Bd. 3, S. 488 (mit weiterer Literatur). Die »amerikanische Torsionswage« ist keine Drehwage, sondern eine Abänderung der Robervalschen Tafelwage, in welcher Schneiden und Pfannen durch elastische Federn ersetzt sind [5].
Literatur: [3] Boys, C.V., Philos. Magazine 1887, 45, S. 489 ff. [4] Ders., Beibl. zu Wiedem. Ann. 1895, Bd. 19, 10, S. 123. [5] Zeitschr. f. Instrumentenk. 1890, Bd. 10, S. 433.
Aug. Schmidt.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.