Gegendiagonalen [1]

Gegendiagonalen [1]

Gegendiagonalen. Bei Fachwerkträgern (s.d.) mit Vertikalen (Ständerfachwerke, Fig. 1–6) hat man früher häufiger als in neuerer Zeit die Diagonalen auch dann aus Flacheisen hergestellt, wenn sie in gewissen Belastungsfällen auf Druck beansprucht werden können. Es muß dann jeder solchen Diagonale eine zweite von andrer Stellung zwischen den gleichen Vertikalen beigegeben werden (in Fig. 1 punktiert), die in Wirksamkeit tritt, sobald jene zu wirken aufhört, in letzterem Falle aber, wie die Theorie lehrt ([2], S. 81), Zug erhält. Von den zwei zusammengehörigen Diagonalen heißt diejenige, welche bei Belastung durch das Eigengewicht allein wirkt, Hauptdiagonale, die andre Gegendiagonale. Indem man von der geringen Widerstandsfähigkeit gegen Druck ganz absieht (wie es auch im Folgenden geschehen soll), pflegt man beiderlei Diagonalen als Zugdiagonalen zu bezeichnen. Bei Holzkonstruktionen kommen auch Diagonalen vor, die mit Rücksicht auf die Art der Verbindungen nur Druck aufnehmen können und demgemäß Druckdiagonalen heißen.

Fachwerke mit Gegendiagonalen sind nach dem Gesagten wohl zu unterscheiden von Fachwerken doppelten Systems mit gekreuzten Diagonalen (s. Fachwerke mehrfachen Systems, Bd. 3, S. 543), bei welchen beide Diagonalen eines Feldes gleichzeitig Widerstand leisten. Ist für ein Fachwerk die Anordnung von Zugdiagonalen beabsichtigt, so werden doch für die Berechnung zunächst nur einfache Diagonalen angenommen. Ergeben sich hierbei für eine Diagonale der Länge dm die Grenzbeanspruchungen Am und – A'm, unter Am, A'm Absolutwerte verbanden, so muß zwischen den das betreffende Feld begrenzenden Vertikalen eine zweite Diagonale angeordnet werden, deren Länge d'm sei (Fig. 1). Die Grenzbeanspruchungen werden damit für die erste Diagonale:


Gegendiagonalen [1]

und für die zweite Diagonale:


Gegendiagonalen [1]

also speziell für d'm = dm (Parallelträger, Linsenträger u.s.w.):


Gegendiagonalen [1]

Der Wechsel in der Wirksamkeit von Hauptdiagonalen und Gegendiagonalen übt auch einen Einfluß auf die Beanspruchungen der Gurtungen und Vertikalen aus, worauf jedoch bei der Berechnung meist keine Rücksicht genommen wird. Dieser Einfluß ist allerdings nur dann von praktischem Interesse, wenn die Grenzbeanspruchungen jener Glieder dadurch geändert werden. Die Grenzbeanspruchungen der Gurtungen und Vertikalen bei Mitwirkung von Gegendiagonalen lassen sich nicht so allgemein wie oben diejenigen der Diagonalen ausdrücken, sie hängen von der Art und Form des Trägers ab und sind nicht einmal für alle Fälle festgestellt, da die Ableitung mitunter bedeutende Schwierigkeiten bietet. Dagegen lassen sich die Beanspruchungen aller Stäbe für jede bestimmte Belastung leicht berechnen ([2], S. 157, 158) und damit bei Verwendung von Einflußlinien (s.d.) auch ihre Grenzwerte erhalten. Bezüglich direkter Berechnung der letzteren sei im folgenden auf die am meisten in Betracht gekommenen Fälle hingewiesen. Bemerkt sei, daß für die Herstellung von Schwedler-Trägern (s.d.) die Frage der Gegendiagonalen eine besondere Rolle spielte.

Einfacher Parallelträger (s.d., Felder gleich oder verschieden lang). Ist die erste Trägerhälfte einschließlich der Vertikale oder des Feldes in der Mitte zunächst für das System Fig. 3, 4 berechnet und es hat sich für eine Vertikale m, welcher mindestens ein Feld mit Gegendiagonale anliegt, die negative Grenzbeanspruchung (Maximaldruckbeanspruchung) – Bm[342] ergeben, während der zugehörige Knotenpunkt des Obergurts durch das Eigengewicht allein mit Ko, im Maximum durch Ko belastet ist, so sind die wirklichen Grenzbeanspruchungen der Vertikale m:

Vm = – Bm, Vm = – Ko.

4.


Nur wenn ausnahmsweise Ko größer als Bm sein sollte, tritt Vm = – Ko an Stelle von Vm = – Bm. Die Grenzbeanspruchungen der Gurtungen bleiben ungeändert und ebenso alle Beanspruchungen durch das Eigengewicht allein, mit Ausnahme derjenigen der mittleren Vertikale bei gerader Felderzahl, welche gleich – Ko ist. Greift die Fahrbahnlast zwischen beiden Gurtungen in Vertikale m an, so bedeuten Ko, Ko nur für das Vertikalenstück von Fahrbahn bis Obergurt die Belastung des oberen Knotenpunkts m, für das Vertikalenstück von Fahrbahn Untergurt die Summe aus jener Knotenpunktlast und der in Vertikale m angreifenden Fahrbahnlast. Ableitung [2], § 50, Beispiele [3], B 41–48, 101, 102.

Gewöhnlicher Schwedler-Träger (s.d., horizontaler Untergurt, Fahrbahn unten). Ist die erste Trägerhälfte einschließlich der Vertikalen oder des Feldes in der Mitte zunächst für das System Fig. 5 berechnet, so gilt für das Parallelträgerstück die soeben angeführte Regel. Eine Ausnahme macht nur die Grenzvertikale desselben, für welche die negative Grenzbeanspruchung (Maximaldruckbeanspruchung) wie bereits berechnet bleibt und bei etwas zu ungünstiger Annahme auch die zweite Grenzbeanspruchung wie für Fig. 5 beibehalten werden kann. Genauer ist der letztere Grenzwert für gleichmäßig verteilte bewegte Last von p pro Längeneinheit:


Gegendiagonalen [1]

und für bewegte Radlastzüge, wenn möglichst große Radlasten P bei Abszissen a (von Auflager 0 aus gerechnet) auf die Strecke von 0 bis zur Vertikale m + 1 und besonders dicht um die Vertikale m kommen:


Gegendiagonalen [1]

worin n Felderzahl, λ Feldlänge, g das gleichmäßig verteilt angenommene Eigengewicht der Konstruktion pro Längeneinheit, Vm die Beanspruchung der Vertikale durch letzteres, welche wie für Fig. 5 bleibt (s. Schwedler-Träger), und v = h/(hmhm – 1), unter hm die Länge der fraglichen Vertikale verstanden. Ableitung [2], § 51, Beispiele [3], B 59–61.

Andre Fälle. Die für Schwedler-Träger gegebene Regel gilt auch für andre Träger mit Diagonalen der Stellung in Fig. 5 und einem eingeschalteten Parallelträgerstück, innerhalb dessen allein sich Gegendiagonalen befinden. Fig. 6 zeigt einen solchen Fall. Ueber Gegendiagonalen bei einfachen Balkenfachwerken mit beliebigen Gurtungsformen s. [2], § 52, Beispiele hierzu [3], B68 74; Gegendiagonalen bei beliebigen, insbesondere durchlaufenden Balkenfachwerken [2], § 56, Beispiele hierzu [3], B 80–83. Beispiele für Halbparabelträger [3], B 68–70, Ellipsenträger [3], B 71, Parabelträger [3], B 72, Paulische Segment- und Linsenträger [3], B 73, 74, durchlaufende Gelenkträger [3], B 80–83, durchlaufende Bogenträger [3], B 101, 102. Wird die Berechnung von Fachwerken mehrfachen Systems (s.d.) auf Grund der Zerlegung in einfache Systeme durchgeführt, so ergibt sich nach den Regeln für die einfachen Systeme ohne weiteres, wie weit die Gegendiagonalen im mehrfachen Systeme reichen [3], B 107, bei andrer Berechnung hat man bisher Gegendiagonalen nicht ausgeführt. Ueber Träger mit Zugdiagonalen ohne Gegendiagonalen s. Dreieckträger, Schwedler-Träger.

Fachwerke mit Gegendiagonalen kamen in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Amerika auf und fanden rasch auch in Europa Eingang, nachdem sie durch Culmann und Schwedler theoretisch behandelt worden waren [5] S. 71, 104. Ob die Gegendiagonalen annähernd so wirken, wie die Theorie annimmt, wird wesentlich von der Ausführung abhängen, doch bietet die Montierung keine außergewöhnliche Schwierigkeit [1]. In neuerer Zeit hat man auf Zug und Druck widerstandsfähige Diagonalen mitunter schon deshalb vorgezogen, weil die flachen Diagonalen sich bei wechselnder Belastung durch Klappern bemerklich machten.


Literatur: [1] Scharowsky, Gegendiagonalen oder nicht Gegendiagonalen, Deutsche Bauztg. 1876, S. 246. – [2] Weyrauch, Theorie der statisch bestimmten Träger für Brücken und Dächer, Leipzig 1887, IV. Abschn. (auch S. 45, 81, 107). – [3] Ders., Beispiele und Aufgaben zur Berechnung der statisch bestimmten Träger, Leipzig 1888, IV. Abschn. (auch B 41–48, 59–61, 80–83, 101, 102). – [4] Ritter W., Anwendungen der graphischen Statik, II, Das Fachwerk, Zürich 1890, S. 31. – [5] Lang, Die Entwicklungsgeschichte der Spannwerke des Bauwesens, Riga 1890, S. 101. – [6] Hansen, Die Maximalspannungen in den Vertikalen bei einem Fachwerkbalken mit einfeldrigen Haupt- und Gegendiagonalen, Deutsche Bauztg. 1892, S. 290. – [7] Foeppl, Das Fachwerk im Räume, Leipzig 1892, S. 37. – [8] Zschetzsche, Das Fachwerk mit künstlich gespannten Gliedern, Civilingenieur 1895, S. 425. – [9] Vorschriften betreffend die Berechnung und Einziehung von Gegendiagonalen, Zentralblatt der Bauverwaltung 1899, S. 359, 472, 613. – [10] Ramisch, Ueber die Ermittlung der Spannkräfte in den Gegendiagonalen eines einfachen Fachwerkträgers, Zeitschr. für Architektur und Ingenieurwesen 1900, S. 66. – [11] Müller-Breslau, Die graphische Statik der Baukonstruktionen, I, Leipzig 1901, S. 273, 291. – [12] Wieghardt, Ueber die Statik ebener Fachwerke mit schlaffen Diagonalen, Göttinger Dissertation, 1903. – [13] Ders., Zur Statik der Fachwerke mit schlaffen Diagonalen, Zentralblatt der Bauverwaltung 1904, S. 390, 656. – [14] Ostenfeld, Technische Statik, Leipzig 1904, S. 146, 186.

Weyrauch.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2., Fig. 3., Fig. 4.
Fig. 2., Fig. 3., Fig. 4.
Fig. 5., Fig. 6.
Fig. 5., Fig. 6.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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