- Fahrrad
Fahrrad (Veloziped), ein zumeist zwei-, seltener dreirädriges Fahrzeug, bei dem der Fahrer mittels der Beine die Räder antreibt und durch Balancierung unter Ausnutzung der Schwungkraft der Räder die erwünschte Fortbewegung erzielt.
Das Zweirad. Die Idee des Balancehaltens und die Urform des Zweirades mit den zwei in einer Linie stehenden Rädern sowie der Steuerung des Vorderrades ging 1816 von dem Freiherrn v. Drais aus. Instrumentenmacher Fischer, Schweinfurt, konstruierte 1850 ein Fahrrad mit Pedalen, das im Prinzip demjenigen des Franzosen Michaux vollständig gleichkommt. Michaux bewerkstelligte 1860 die Fortbewegung des Fahrzeuges mit Pedalen am Vorderrad, so daß also die Beine frei vom Erdboden auf den Pedalen ruhend den Antrieb des Vorderrades besorgten (Fig. 1). Damit beginnt die Entwicklungsperiode des Velozipedes. Zuerst waren es die unternehmungslustigen Engländer, die dieser neuen Sache ihr Interesse zuwendeten und in den siebziger und achtziger Jahren einen ansehnlichen Handelsartikel daraus schufen. Das Michauxsche Veloziped wurde seiner ausgestattet; an Stelle der hölzernen Räder mit Eisenreifen treten zierliche Stahlnaben mit Aeolus-Kugellager und Stahlspeichen, ein Felgenkranz mit eingelegtem Gummiring; die Maschine bekommt eine zierliche Lenkstange, einen Ledersattel, einen Rücken aus hohlen Stahlrohren. Das Vorderrad wird zur Erreichung einer größeren Uebersetzung und eines aufrechten natürlichen Sitzes der Schrittlänge angepaßt und es entsteht das Bicyclehochrad (Fig. 2). Das Hochradfahren ist aber mit einiger Gefahr verbunden, weil bei Unebenheiten Kopfstürze nicht zu vermeiden sind. Die Technik wandte sich zur Hebung dieses Uebelstandes andern Kombinationen zu: so dem Kangaroo mit mittelhohem Vorderrad, kleinem Hinterrad und Kettenübersetzung auf beiden Seiten, dem Safety-Bicycle mit denselben Rädern und Hebelfederantrieb; dem amerikanischen Star-Bicycle mit kleinem Vorderrad, großem Hinterrad und Federantrieb, dem Facile-Bicycle mit mittelhohem Vorderrad, kleinem[582] Hinterrad und verkapfeltem Kettenradantrieb. Auf die Dauer fanden jedoch auch diese (teuern und unpraktischen) Systeme keinen Anklang. Etwa Mitte der achtziger Jahre kam endlich der Kreuz-Rover (Fig. 3) mit zwei niederen Rädern, einem Tretkurbellager am Sattelquerrohr und Kettenverbindung zum Hinterrad auf, eine Sicherheitsmaschine, die neben dem einige Jahre später von Dunlop erfundenen »Pneumatikreisen« das Fundament der Ungeheuern Verbreitung des heutigen Niederrades bildet. Von dieser Zeit ab fängt das Fahrrad, das vorher mehr sportlichen Zwecken diente, an, allen möglichen Berufen, die kleinere und größere Fahrten insbesondere auf das Land ohne Eisenbahn erfordern, nutzbar zu werden. In den neunziger Jahren wurde das Fahrrad auch bei dem Militär, der Polt und sonstigen staatlichen Behörden eingeführt.
Hand in Hand mit der fleh steigernden Nachfrage geht die Verfeinerung des Typus, der Ausbau der Einzelteile, die rationellere Arbeitsmethode mit Spezialwerkzeugmaschinen, die Etablierung neuer Fabriken in allen Teilen des Deutschen Reiches und des Auslandes, das Sinken der Verkaufspreise. An Stelle des Kreuz-Rover tritt der sogenannte Humber-Rahmenbau (Fig. 4), der sich bis in die Neuzeit behauptet und zu einem Standardtyp herausgebildet hat. Beim Damenrad (Fig. 5) gehen zwei Rohre von der Steuerung aus getrennt nach dem Tretlager; überdies sind Schutzvorrichtungen für die Kleider am Hinterrad und an der Kette vorgesehen. Ein Hauptaugenmerk wird auf die Verbesserung der Kugellager zur denkbar möglichsten Verminderung des Reibungswiderstandes gerichtet sowie ferner zur Staubabdichtung und Oelhaltung der Lager, »der Seele des Fahrrades«. Auch die Verminderung des Gewichtes strebt die Fahrradtechnik an und wird dies durch geringere Wandstärke der Rohre sowie durch kleinere Dimensionen der Preßteile unter Auswahl zäheren Materials bewirkt; das Tourenrad, das früher 28 kg gewogen hat, ist heute so viel Pfund schwer; Halbrenn- und Rennräder wiegen nur noch 20 Pfund und weniger.
Durch diese Vereinfachungen und konstruktiven Verbesserungen ist die Bedienung des modernen Fahrrades zu einer Spielerei geworden und es ist eine Geschwindigkeit von etwa 30 km in der Stunde von einem mittelmäßigen Fahrer leicht zu erreichen, während z.B. der Rekord eines Renners auf der Rennbahn mit Hilfe von Führungsmotorrädern zum Vermindern des Luftwiderstandes zurzeit 78 km pro Stunde beträgt. Bei Fernfahrten wurde in letzter Zeit eine Strecke von 1000 km in 54 Stunden zurückgelegt.[583] Der Pneumatikreifen hat durch Abfederung der Stöße auf Unebenheiten einen derartigen Aufschwung im Fahrradwesen hervorgerufen, daß anfangs der neunziger Jahre die Produktion der Nachfrage nicht mehr gewachsen war. Es schossen daraufhin neue Fahrradfabriken wie Pilze aus der Erde und das Jahr 1897 brachte den Umschwung: eine Ueberproduktion, einen Preissturz und im Verlauf der weiteren Jahre Konkurse vieler Fabriken. Interessant ist der Preisrückgang eines Fahrrades im Verlauf der 11/2 Jahrzehnte von 500 ℳ. auf 400300 ℳ., 200 ℳ. und 150 ℳ. Man begegnet neuerdings sogar Preisen von 75100 ℳ., für ein Fahrrad, das dann allerdings nicht den Anspruch auf erste Qualität erheben kann. Durch die Massenfabrikation und fortschreitende Verbesserung der Hilfsmaschinen, durch rationellere Arbeitsteilung war es den besseren Fabriken möglich, diese enormen Preisrückgänge zu ertragen. Die deutsche Fahrradindustrie beschäftigte 1905 etwa 50000 Personen mit einer Produktion von 500000 Fahrrädern; sie hat ihre Lehrmeisterin, die englische Industrie, längst überholt und unterhält einen umfangreichen Export nach allen Ländern.
Besondere Arten von Fahrrädern. Besonderen Fahrzwecken sind die nachfolgend beschriebenen Fahrräder angepaßt:
1. Das Tandem, ein zweisitziges Zweirad, das einen längeren Rahmenbau besitzt und mit zwei hintereinander liegenden Sitzen für zwei Fahrer ausgestattet ist.
2. Das Triplet, das Quadruplet u.s.w. für drei, vier bis rieben Fahrer eingerichtet. Bei diesen mehrsitzigen Fahrrädern sind die Räder, der Rahmenbau, Gabel u.s.w. wegen der weit schwereren Beladungen entsprechend stärker ausgeführt und dienten diese Räder vor Einführung des Motorrades in der Hauptsache zu Schrittmacherdiensten oder zu Gesellschafts- und Reklamefahrten; sie sind aber heute wenig mehr in Verwendung.
3. Das Einrad, das nur zum Kunstfahren von besonders trainierten Fahrern verwendet wird.
4. Das Dreirad, das namentlich in den Entwicklungsjahren, solange das Niederrad noch nicht existierte, einige Verbreitung finden konnte und hauptsächlich von älteren Herren gefahren wurde, die das Zweiradfahren nicht mehr erlernen wollten oder konnten. Dieses Modell erfordert infolge seines schwereren Gewichtes, seiner drei Spuren zur Bedienung bedeutend mehr Kraftaufwand und ist übrigens namentlich beim Kurvenfahren und auf schlechten Straßen mit einiger Gefahr des Umkippens verknüpft. Der Typ konnte sich daher auch nicht einbürgern und ist heute fast ganz verschwunden.
5. Das Gepäckdreirad. Ein an größeren Plätzen zum Warentransport bestimmtes Fahrzeug, das sehr stark in Aufnahme gekommen ist. Man unterscheidet Gepäckdreiräder mit Vordersitz und hinten angebrachtem Gepäckkästen und umgekehrt; der letztere Typ (Fig. 6) ist zahlreicher, weil derselbe einen einfacheren Bau gestattet und sonst einige Vorzüge aufweist, so ein leichteres Steuern, ein besseres Durchkommen im Großstadtverkehr und Uebersehen des Gepäcks. Der Gepäckkästen ist mit der Firma des Eigentümers versehen, so daß neben der raschen Bedienung der Kundschaft eine gewisse Reklame für die betreffende Firma erwächst. Für schwerere Lallen sind neuerdings die Gepäckdreiräder mit motorischer Einrichtung aufgekommen, die dem Fahrer die Mühe des Tretens insbesondere auf hügeligen Straßen abnehmen.
6. Krankenfahrräder. Ein meist dreirädriges Fahrzeug mit kleinem Vorderrad und zwei größeren Hinterrädern, zwischen welchen sich ein gepolsterter Sitz mit Rückenlehne befindet; die Räder dienen in der Hauptsache Fußkranken und sind mit Handbetrieb eingerichtet.
Besondere Einrichtungen an Fahrrädern. Eine sehr wichtige Einrichtung an Fahrrädern ist der Freilauf und der Freilauf mit Innenbremse. Der Freilauf (Fig. 7) ist in der Hinterradnabe im Zahnkranz gelagert und ermöglicht eine Ausschaltung der Antriebsvorrichtung, so daß dadurch bei Gefällen die Schwerkraft des Fahrrades ausgenutzt werden kann und bergab die Beine auf dem Pedal ruhen können, ohne die rotierende Bewegung mitzumachen. Der Zahnkranz ist zu diesem Zweck mit mehreren Ausfräsungen versehen, in denen sich Keile oder ähnliche Teile befinden, um beim Vorwärtstreten den Antrieb zu erhalten, jedoch beim Stillstand der Beine die Keile in den tieferen Teil der Einfräsung zurückzulegen und so nur den inneren Teil der Nabe mit dem Rad, nicht aber den äußeren Zahnkranz, die Kette und das Tretlager in Bewegung zu setzen. Der bloße Freilauf ist namentlich in England in Kombination mit der Felgenbremse sehr gebräuchlich. Der gleichzeitig mit Innenbremse versehene Freilauf ist eine wichtige Sache geworden, und es existieren verschiedene Spezialfabriken, die sich ausschließlich mit diesem Artikel befassen. Neben dem vorgeschilderten Freilauf ist die Hinterradnabe gleichzeitig als Bremse ausgebildet, indem beim Rückwärtstreten der Pedale ein auf der Hinterradachse befindlicher Antreiber die Bremsbackeneinrichtung auseinander treibt und so diese Teile sich an dem in der Nabenflansche befindlichen Bremsmantel reiben und dadurch die Bremswirkung hervorrufen. Die Bremsung wird also vermittelst der Beine durch Rückwärtstreten der Pedale erzeugt und erfordert keinen so großen Kraftaufwand wie die mit der Hand zu betätigende Reifenbremse, die nebenbei auf die Gummireifen schädlich einwirkt; die letztere wird daher nur als Reservebremse in besonderen Fällen angewendet. Die bekanntesten Bremsnaben sind die Torpedo, Neckarsulmer[584] (Fig. 8), New Departure, Morrow, Rotax, Cinch, Atlas. Fall an jedem modernen Fahrrad m diese Einrichtung anzutreffen, die sehr zur Bequemlichkeit des Fahrers beiträgt.
Eine weitere besondere Einrichtung ist das Variand und die Doppelübersetzungsnabe. Das Varland (Fig. 9 u. 9a) ist ein von den Neckarsulmer Werken hergestelltes patentiertes Tretlager, das vermitteln eines Kryptogetriebes die Auswechslung des Uebersetzungsverhältnisses während der Fahrt gestattet und zwar in dem Verhältnis von 2 : 3; ist also die normale Uebersetzung auf der Ebene 84'', so wird durch Umschaltung bergauf eine 56''-Uebersetzung erreicht, die das Bergfahren ungemein erleichtert. Die Doppelübersetzungsnabe (Fig. 10, Wanderer, Neckarsulmer, Eadie) besitzt neben dem Freilauf der Rücktrittbremse einen ähnlichen, nur in zierlicherer Ausführung in der Nabe gelagerten Mechanismus, der ebenfalls eine Auswechslung des Uebersetzungsverhältnisses während der Fahrt gestattet.
Einzelteile der Zweiräder. Im nachfolgenden sind die Einzelteile des gebräuchlichsten Zweirades geschildert, und diese Ausführungen sind in der Hauptsache auch auf die Abarten anwendbar. Hauptbestandteile des Fahrrades sind: Rahmen, Vordergabel, Steuerung, Bremse, [585] Lenkstange, Schutzbleche, Getriebe, Kettenübertragung, Kettenspannung, Pedale, Vorderrad, Hinterrad, Sattelwinkel, Sattel, Pneumatik, Werkzeugtasche samt Werkzeug und bei Damenrädern die Kleiderschutznetze.
Der moderne Humber-Rahmen (Fig. 11) besteht aus dem oberen und unteren Rahmenrohr, dem Steuerrohr, dem Querrohr, den Hinterradstreben und der Hinterradgabel zur Aufnahme des Hinterrades; die Röhren aus Stahl sind nahtlos gezogen und haben in der Regel eine Wandstärke von 0,51,5 mm, je nach dem Zweck des Fahrrades; ebenfalls mittels gezogener Verbindungsstücke als Steuerung (Fig. 12), Sattelrohrklemmstück (Fig. 13), Gabelenden (Fig. 14), Hintergabelbrücke (Fig. 15) sind die Rohre zu einem kompakten Rahmen zusammengefügt und hart verlötet; bei den früheren Modellen waren diese Verbindungsstücke nach außen gelegt (Außenlötung); neuerdings werden diese Verbindungsstücke nur noch nach innen gelegt (Innenlötung), was dem Fahrrad ein schlankeres Aussehen verleiht. Eine Maßtabelle über die Dimensionen der einzelnen Rohre Hellt Fig. 11 dar.
Die Vordergabel (Fig. 16), zur Aufnahme des Vorderrades, besteht aus dem Schaftrohr, den beiden Gabelscheiden, die wiederum durch einen Kopf in entsprechender Ausformung zusammengelötet find; die Gabel ist im Steuerrohr des Rahmens mit der Lenkstange durch eine Innenklemmung verbunden und ist je oben und unten am Steuerrohr ein Kugellager (Fig. 17) behufs leichten Steuerns des Fahrrades angebracht.
Die Lenkstange, aus dem Schaftrohr und Querrohr bestehend, ist mit zwei Handgriffen aus Kork oder Celluloid versehen und hat verschiedene Formen je nach dem Zweck des Fahrrades; die Halbrenn- und Rennmaschinen haben tief nach abwärts gebogene Lenkstangen, so daß der Fahrer bei einem vorgebeugten Sitz weniger Luftwiderstand hat und dadurch größere Geschwindigkeiten erzielen kann; die[586] gebräuchlichsten und jedenfalls auch in sanitärer Hinsicht vorteilhafteren Lenkstangen sind die etwas nach aufwärts gebogenen, weil sie einen aufrechten Sitz gestatten.
Die Bremse, zur Hemmung der Geschwindigkeit bei Gefällen, ist verschieden konstruiert: es gibt Reifenbremsen, die auf den Gummireifen wirken, Felgenbremsen auf die Vorder- oder Hinterradfelgen, Bandbremsen auf eine mit der Vorder- oder Hinterradnabe verbundene Scheibe; auch die Betätigung der Bremsen ist verschieden und erfolgt entweder mit der Hand vermittelst eines Hebels und Stängchens oder mit den Beinen als Rücktritt- oder Scharnierbremse; bei Bremsen auf das Hinterrad mit einem langen Weg wird in der Regel der biegsame Rowden-Spiraldraht, in dem sich ein Kabel befindet, angewendet. Die gebräuchlichste und wirksamste Bremse ist die früher erwähnte Nabeninnenbremse (Fig. 8), die mit den Beinen durch Rückwärtstreten der Pedale bewerkstelligt wird. Der Sicherheit wegen befindet sich neben der Nabeninnenbremse in der Regel noch eine der obengenannten andern Bremsen am Fahrrad, die jedoch nur für den Fall des Versagens der andern dient oder bei sehr starken Gefällen gleichzeitig mit der zweiten Bremse erforderlich wird.
Die Schutzbleche, vermittelst Stängchen an der Vorder- und Hinterachse befestigt, laufen konzentrisch mit den Rädern und dienen bei schlechtem Wetter zum Auffangen des Schmutzes.
Das Getriebe (Tretkurbellager) ist einer der wichtigsten Teile des Fahrrades und war von jeher der Gegenstand technischer Verbesserungen, besonders hinsichtlich des Kugellagers selbst, seiner Staubabdichtung und Oelhaltung, einer soliden Kurbelbefestigung und Wegfalls des früher gebräuchlichen Kurbelkeils, einer eleganten Form des Kettenrades und eines eleganten abgerundeten Aussehens überhaupt. Die Kurbeln sind neuerdings glockenartig ausgebildet (Fig. 18) und liegen in diesen Ausfräsungen die Kugelreihen, so daß bei möglichst engem Tritt sich die Kugellager weit möglichst auseinander befinden und den Kettenzug zwischen dieselben verlegen. Das Kettenrad ist abnehmbar und weist eine große Zahl aller möglichen Formen auf. Nach der Größe des Kettenrades und des Hinterradzahnkranzes richtet sich die Uebersetzung des Fahrrades; ist z. B, das Hinterrad 28'' im Durchmesser und besitzt das Kettenrad 72 Zähne, das hintere Zahnrad 24 Zähne, so ist die Uebersetzung 3 · 28 = 84'' groß, d.h. bei einer Umdrehung legt das Fahrrad einen Weg von 3,14 · 84 = 263'', 76 = 21', 98 = 6,7 m zurück. Die Uebertragung von dem Kettenrad zum Hinterrad erfolgt vermittelst einer Kette aus gutem Stahl und gehärteten Rollen, die genau der Form der Zähne angepaßt ist; man unterscheidet 1/2''-, 5/8''- und 1''-Ketten und Zahnradteilung; die 5/8'' Teilung ist die gebräuchlichste, weil dieselbe weniger Kettenglieder erfordert und auch bei kleinen Zahnkränzen genügend gelenkig ist. Um die Kette auf ihre richtige Spannung zu bringen, befindet sich an den Hintergabelenden eine Einrichtung, die eine kleine Verschiebung des Hinterrades nach vor- oder rückwärts gestattet und eine richtige Spannung ermöglicht (Fig. 14).
Die Pedale zum Auflegen der Füße und zum Antrieb des Kurbellagers sind vermittelst der Pedalachse in die Tretkurbel eingeschraubt; man unterscheidet Gummi- und Zackenpedale, erstere (Fig. 19) mit weicher Auflage zum Tourenfahren, letztere (Fig. 20) namentlich zu Rennzwecken;[587] wie an allen reibenden Teilen, so befinden sich auch hier zwei Kugellager, und da diese Lager dem Erdboden am nächsten liegen, so ist auf eine solide Staubabdichtung Rücksicht genommen.
Das Vorderrad besteht aus der Nabe mit zwei Kugellagern (Fig. 21), aus 3640 Tiegelgußstahlspeichen von 1,8 mm Stärke und aus der Felge; durch peinliches Zentrieren wird einem Schwanken des Rades nach den Seiten vorgebeugt; die Speichen sind tangential eingeführt, wobei die Beanspruchung nicht auf Druck wie bei den früher üblichen radial angeordneten, sondern auf Zug erfolgt. Das Hinterrad ist in derselben Weise gebaut, nur ist die Nabe noch mit einem Zahnkranz zur Kettenübertragung versehen.
Der Sattelwinkel ist genau in das Rahmenquerrohr eingepaßt und mit einer Schraube und Mutter verklemmt; derselbe ist verstellbar, um die Entfernung vom Sattel zu den Pedalen der Verschiedenheit der Körpergröße bezw. Beinlänge anpassen zu können; an dem Querrohr ist der Sattel, aus Spiralfedern und einer Lederdecke bestehend, vermittelt einer Klaue festgeschraubt; auch der Sattel ist nach vor- und rückwärts verstellbar.
Die Bereifung des Fahrrades ist ein wichtiger Punkt und sind hier im Laufe der Jahre viele Veränderungen und Verbesserungen eingetreten; die ersten Niederräder und auch noch die Bicycles waren ursprünglich mit massiven Gummiringen versehen und haben begreiflicherweise nur in geringem Maße gefedert; später kamen alsdann die Kissengummireifen auf, die von größerer Dimension und im Innern etwa 10 mm hohl waren. Erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre erfand der Engländer Dunlop den Pneumatikreisen (Fig. 22), der zuerst mit Mißtrauen betrachtet wurde, jedoch wie erwähnt eine förmliche Umwälzung im Fahrradbau hervorgerufen hat. Mit der Anwendung des Pneumatiks wird das Fahrrad infolge der Federung und Abminderung der Stöße wesentlich leichter; die Rahmenrohre, die Gabel und die Speichen, Preßteile, überhaupt saß alle Teile können zierlicher gefertigt werden, und das Radfahren nimmt durch diese bedeutende Erleichterung einen ungeahnten Aufschwung. Wenn auch der Pneumatik durch Eindringen von Nägeln und spitzigen Gegenständen leicht defekt werden kann, so wurde dieser Uebelstand wegen der weit größeren Bequemlichkeit in Kauf genommen und der Kissenreifen in kurzer Zeit vollständig verdrängt. Wiederholte Versuche, diesem Mangel durch eine panzerartige Schutzdecke oder durch eine Zwischenlage aus zähem Material zwischen Mantel und Schlauch abzuhelfen, führten zu keinem Resultat, da wohl ein Defektwerden etwas eingeschränkt wird, jedoch der Nachteil durch Einbuße der Federung überwiegt; so wird jedem Fahrrad ein Pneumatiknecessaire beigegeben, um dem Fahrer selbst das Flicken eines defekten Schlauches auf der Landstraße vermittelst Gummilösung und Gummistreifen zu ermöglichen. Der Pneumatik besteht aus dem Laufmantel mit einer äußeren Gummischicht, nach den Seiten etwas dünner und auf der Lauffläche etwas dicker; an beiden Enden befinden sich Wulste, die der Form der Felgen angepaßt sind und nach Aufpumpen der Pneumatiks vermittelst der Luftpumpe bis zu einem Druck von 21/2 Atmosphären auf dem Rad absolut festsitzen; im Innern des -Luftmantels ist eine starke Leinwand, um dem Mantel einen selten Halt zu geben. Der Luftschlauch ist aus Paragummi und mit einem Ventil versehen (Fig. 23), durch das die Luft in den Schlauch eingepumpt wird. Die Dimensionen des Pneumatikreisens für Fahrräder sind 11/4, 11/2, 15/8, und 13/4'', je nach dem Zweck der Maschinen. Die sogenannten Moosgummireifen ohne Luftschlauch, jedoch im Innern mit einer moosartigen Schicht, konnten sich nicht behaupten und werden höchstens noch bei Fahrrädern zu Geschäftszwecken auf sehr schlechten Straßen angewendet.
Zwischen dem Rahmenrohr ist eine Werkzeugtasche aus Leder angeschnallt, in der sich die zum Fahrrad notwendigen Werkzeuge: Schraubenzieher, Luftpumpe, Oelkanne u.s.w., befinden.
Literatur: Fahrradzeitschriften: Radwelt, Berlin; Radmarkt, Bielefeld; Deutsche Rad- und Kraftfahrerzeitung, Essen (Organ des Deutschen Radfahrerbundes); Radtourist, Mannheim (Organ der Allgemeinen Radfahrerunion); Das Fahrzeug, Eisenach; Rad und Motor, Magdeburg; Das Stahlrad, Leipzig; Fahrrad- und Automobilmarkt, Dresden; Arbeiterradfahrer, Halberstadt; Zentralanzeiger für Fahrradindustrie Frankfurt; Der Radwanderer, München; Märkische Radfahrerztg., Berlin; Schlesische Radfahrerztg., Breslau; Sächsische Radfahrerztg., Leipzig.
Das Motorfahrrad. Die Idee, dem Zweirad eine motorische Kraft einzufügen, um dem Fahrer die Mühe des Pedalierens abzunehmen, ist im Anfang der 1890 er Jahre aufgetaucht.[588] Es war die Firma Hildebrandt & Wolfmüller, München, welche um diese Zeit die Fabrikation dieser Vehikel aufnahm. Die Konstruktion konnte sich jedoch wegen des schweren Gewichts, der Unzuverlässigkeit der Einrichtungen und wohl auch des hohen Preises nicht durchringen und es vergingen mehrere Jahre, bis eine französische Firma, Werner, Paris, die Idee wieder aufgriff und einen brauchbaren Typ, analog dem gewöhnlichen Zweirad mit über dem Vorderrad gelagertem Motor und Riemenantrieb auf dasselbe, schuf. Gegen Ende der 1890er Jahre tauchten ähnliche Konstruktionen in Deutschland auf; doch waren die Erinnerungen an die Hildebrandtschen Konstruktionen derartig trübe, daß die neue, verbesserte Form nur schwer Eingang finden konnte. Erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren es die Neckarsulmer Fahrradwerke, welche diese Sache im großen Stile aufnahmen und mit einem für damalige Verhältnisse leistungsfähigen Typ den Grund zu der Entwicklung dieses Industriezweiges legten. Die motorische Einrichtung war dem gewöhnlichen Zweirade angepaßt; der Motor wurde am Tretlager im Rahmenrohr aufgehängt und in einem Karten zwischen dem Rahmen das Benzin, Schmiermaterial, Zündung u.s.w. eingebracht. Man ging von dem Grundsatze aus, dem gewöhnlichen Zweirad ohne weiteres den Einbau der motorischen Einrichtung zu ermöglichen; doch erwies sich diese Maßnahme als unpraktisch; die Ansprüche steigerten sich im Laufe des Gebrauches, und aus den ursprünglichen 1-PS.-Motoren wurden 11/2-, 13/4-, 2-, 21/2-, 3-, ja neuerdings 5- und 8-PS.-Motore, die veränderte Anordnungen des Motors, einen stärkeren, längeren und niederen Rahmenbau erforderten.
Der Einbau des Motors in das Zweirad hat im Laufe der Zeit viele Wandlungen erfahren; ursprünglich/über dem Vorderrad gelagert, wanderte er an das vordere Rahmenrohr unten, oben, an das Rahmenquerrohr nach vorn, nach hinten, an das Hinterrad, um neuerdings am gebräuchlichsten neben dem[589] Tretkurbellager senkrecht an dem unteren Winkel des Rahmens vermittelst Klauen eingebaut zu werden (s. Fig. 24, Standardtyp des Einzylindermotorrades von 1906).
Mit den Ansprüchen und mit der Steigerung der Pferdestärken bildeten sich die Mehrzylindermotore heraus, s. Fig. 25, Zweizylindermotorrad, und Fig. 26, Vierzylindermotorrad, die besonders in Kombination mit dem Beiwagen (s. Fig. 27, Motorrad mit Vorsteckwagen oder mit Seitenwagen), für gebirgige Terrainverhältnisse und für Rennzwecke Verwendung finden; für den Durchschnittsfahrer bleibt der Einzylindermotor, schon der größeren Einfachheit halber, der Haupttyp.
Die Leistungsfähigkeit des modernen Motorzweirades ist eine ungeahnt große; mit dem 2-PS.-Einzylindermotor wurden schon Geschwindigkeiten von 60 km in der Stunde erzielt; der 3-PS.-Einzylindermotor vermochte 75 bis 80 km in der Stunde zurückzulegen, und mit den schweren Mehrzylindermotoren wurde ein Rekord von 112 km pro Stunde erreicht, also eine Geschwindigkeit, die jene unsrer raschesten Expreßzüge übertrifft. Das Nehmen von Steigungen, selbst von lange anhaltenden auf Gebirgsstraßen, ist noch mit mittleren Pferdestärken leicht möglich; wenn der Motor infolge Ueberhitzung an Kraft nachläßt, ist eine Nachhilfe des Fahrers durch Pedalieren anzuwenden. Diese rasche Durchbildung der Konstruktionen, die große Beweglichkeit, leichte Unterbringung, einfache Bedienung, geringe Anschaffungs- und Betriebskosten haben dem Motorrad diesen raschen Aufschwung verliehen[590] und solches allen Kreisen, welche viel auf dem Lande ohne Eisenbahn zu tun haben, wie Aerzten, Beamten, Reisenden, Handwerkern u.s.w., zugeführt.
Die Anschaffungskosten eines Motorrades schwanken je nach Pferdestärke und Ausführung zwischen 600 und 1000 ℳ.; das Gewicht beträgt ca. 6080 kg und die Betriebskonten sind etwa 12 . pro Kilometer. Durch Gasdrosseleinrichtung und Verstellung des Zündungszeitpunktes ist es möglich, die Geschwindigkeit vom Schnellzugs- bis zum Fußgängertempo zu regulieren.
Der Motor ist in der Regel ein Viertaktmotor, d.h. seine Arbeitsleistung besteht aus folgenden vier Perioden: 1. Der Ansaugeperiode: Der Kolben geht abwärts und saugt durch das Ansaugeventil den Zylinderraum mit Gas an, bis das Ventil durch die Spiralfeder geschlossen wird. 2. Der Kompressionsperiode: Der Kolben wird durch die Kraft der Schwungräder bei geschlossenem Anfange- und Auspuffventil nach aufwärts getrieben und dadurch eine Kompression der Gase erzielt. 3. Der Explosionsperiode: In diesem Moment setzt die Zündungseinrichtung ein und es werden durch einen an der Zündkerze übergesprungenen Funken die Gase zur Explosion gebracht und der Kolben nach abwärts getrieben. 4. Der Auspuffperiode: Der Kolben wird durch die Schwungkraft während des Hebens des Auspuffventils nach aufwärts getrieben und die verbrannten Gase durch den Auspufftopf ins Freie geleitet (s. Fig. 28 und 29).
Es wurden wiederholt Versuche mit ventillosen Zweitaktmotoren angestellt, die jedoch zu einem befriedigenden Resultat nicht führten.
Die Technik hat im Laufe der Jahre viele Verbesserungen an den hauptsächlichsten Einrichtungen vorgenommen; so wurden die Einlaßventile mechanisch gesteuert, um auch bei langsamer[591] Tourenzahl eine vollkommene Oeffnung des Einlaßventils zu erzielen; das Uebertragungsmittel erfuhr wiederholte Aenderungen, so vom Rundriemen zum Flachriemen, zum Keilriemen aus Leder oder Gummi, Kette und Cardanübertragung; die starren Uebertragungsmittel, die zwar einen Kraftverlust durch Rutschen ausschließen, konnten jedoch über den weichen und elastischen Riemen, der Stöße und Unebenheiten besser ausgleicht, nicht liegen.
Zur Zündung wurde ursprünglich eine Batterie, dann ein Akkumulator und schließlich hauptsächlich der zuverlässigere elektrische Magnetapparat verwendet, welch letzterer vom Motor aus durch Kette oder Zahnräder in Betrieb gesetzt wird. Vom Oberflächenvergaser ist man fall allgemein zum Spritzvergaser übergegangen.
Die Pferdestärke eines Motors wird nach den Formeln der maßgebenden deutschen Automobilverbände wie folgt berechnet: (6 · d2 · h) : 1000. Beispiel: 80 mm Bohrung, 80 mm Hub = 6 · 80 · 80 · 80 : 1000 = 3,07 PS.; (d = Bohrung, h = Hub).
Abarten. Zu erwähnen lind noch Motordreiräder mit kleinerem Vorderrad, zwei größeren Hinterrädern und Sitz zwischen denselben oder zwei Vorderrädern und einem Hinterrad nach Art der Vorsteckwagen sowie ferner Motorgepäckdreiräder zum Warentransport, die in größeren Städten bereits gute Aufnahme gefunden haben.
Fig. 29 Hellt die Funktionsweise des Motors im Zusammenhang mit der Zündung und Vergasung dar; es ist daraus die Stellung der Ventile, der Nockenbetätigung dazu, die Arbeit des Vergasers und die Stellung des Zündungsunterbrechers deutlich zu ersehen. Fig. 30 veranschaulicht die elektrische Stromzirkulation vom Akkumulator zur Induktionsspule, zum Handgriff behufs Abstellung und zur Zündkerze. Die Einzelteile des Motorrades sind folgende:
A. Das Motorfahrrad. Hier verweisen wir auf Fahrrad, das im wesentlichen die Charaktereigenschaften des Motorfahrrades erläutert, nur daß das letztere entsprechend seinem größeren Gewichte, der hohen Geschwindigkeit und den größeren Erschütterungen weit stärker gebaut ist; die Rohre, die Gabeln, die Preßteile, die Felgen, die Speichen, die Naben, die Schutzbleche, die Pneumatikreisen sind von stärkeren Dimensionen, und ist im übrigen alles kräftiger gehalten.
B. Die motorische Einrichtung. Dieselbe besteht aus
a) dem Motor mit folgenden Hauptbestandteilen: dem Gehäuse aus Aluminium oder Grauguß zur Aufnahme der Schwungräder; der Kurbelstange mit den beiden Lagern für die Schwungrad- und Kolbenachse; dem Kolben mit den Kolbenringen; dem Zylinder mit dem Explosionsgehäuse und den Kühlrippen, daran anschließend dem Einlaß- und dem Auspuffventil; der Zahnradübertragung für die Nocken und Zündungsbetätigung, dem Schutzgehäuse dafür sowie der Riemenscheibe zur Uebertragung der Motorkraft auf das Fahrrad;
b) der Zündung. Hier unterscheidet man Batterie- bezw. Akkumulatorenzündung oder magnetelektrische Zündapparate. Die erstere Art besteht aus einer Batterie bezw. einem Akkumulator, einer Induktionsspule zur Verstärkung des Stroms und einem Unterbrecher (s. Fig. 31), um die Stromquelle nur in dem Moment, wo der Zündungsfunken benötigt wird, in Anspruch zu nehmen, aus der ins Explosionsgehäuse eingeschraubten[592] Zündkerze zur Entzündung des Gasgemisches (s. Fig. 32). Die Magnetzündung besteht aus dem durch Zahnräder vom Motor aus angetriebenen Magnetapparat und im übrigen wie bei der Akkumulatorenzündung aus der Induktionsspule, dem Unterbrecher (am Magnetapparat selbst) und der Zündkerze. Die Stromzirkulation zur Zündkerze ist aus Fig. 30 zu ersehen;
c) dem Vergaser; Fig. 33 zeigt den Spritzvergaser im Schnitt, woraus die Benzinzufuhr, die Schwimmereinrichtung, die Spritzeinrichtung, die Kammer der Gemischregulierung, Vorwärmekammer für kalte Jahreszeit und das Abzugsgasrohr zu ersehen ist; eine Drossel- und Luftgemischregulierungsvorrichtung vervollständigt in der Regel den Vergaser;
d) verschiedenen Zubehörteilen als Auspufftopf (Schalldämpfer) zum Abdämpfen des Geräusches der ausgestoßenen Abgase, Riemenübertragung, Reservoir für Benzin, Oel u.s.w., Oelpumpe zum regelmäßigen Schmieren des Motors und den verschiedenen Werkzeugen.
Als praktische Vorrichtung zum Motorrad sind zu erwähnen: Der Leerlauf zum mühelosen Anfahren; ohne Mittreten vermitteln Friktionsscheibe kann der Motor von der Uebertragungsscheibe ausgeschaltet und durch einen Handgriff wieder eingeschaltet werden. Sodann die Federgabel, welche dazu dient, auf unebenen Straßen die Stöße des Vorderrades aufzunehmen bezw. abzumildern; es gibt hier viele Systeme, durch Flachfedern, Spiralfedern oder Kniegelenke die Abfederung bewerkstelligend.
Literatur: Filius, Das Handbuch des Motorfahrers, Wien 1904; Vogel, Wolfgang, Das Motorrad und seine Behandlung, Berlin 1903. Zeitschriften: Der Deutsche Motorfahrer (Organ der Deutschen Motorradfahrervereinigung), München; Das Motorrad, Breslau; Allgemeine Automobilzeitung, Berlin; Die Automobilwelt, Berlin; Das Fahrzeug, Eisenach; Der Radmarkt und Das Motorfahrzeug, Bielefeld.
C. Schwarz, Neckarsulm.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.